Robert Musils Roman »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« als ungekürzte Lesung bei Der Audio Verlag
Als Robert Musil im Jahr 1906 seinen Debütroman schreibt, weiß er nicht, dass der Text kurze Zeit später als Parabel über Machtmissbrauch an Brisanz gewinnen würde: Nur wenige Jahrzehnte nach Erscheinen von »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« waren mit dem Dritten Reich Strukturen entstanden, die durch kollektiven Zwang den Einzelnen zum Mittäter machten. Fast so, als hätte er dies schon zu Beginn des Jahrhunderts geahnt, arbeitet der österreichische Autor in seinem Erstlingswerk die Grammatik der Seele auf und beweist, dass zum Menschwerden mehr gehört als das bloße Befolgen von gesellschaftlichen Normen. Nach »Der Mann ohne Eigenschaften« wurde auch Musils erster Roman als ungekürzte Lesung bei DAV veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit dem RBB ist »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« als Hörbuch auf 1 mp3-CD erschienen: Eindrucksvoll inszeniert von Gerd Wameling wird uns die Aktualität seines beklemmenden Klassikers erneut vor Augen geführt.
Seelenterror, Einsamkeit und militaristische Härte – eine Machtdemonstration
Zu Beginn des Romans ertappen Törleß und zwei weitere Kadetten eines Militärinternats der k.u.k. Donaumonarchie ihren Mitschüler Basini beim Stehlen einer beträchtlichen Summe Geldes. Sie verzichten jedoch darauf, den Außenseiter zu melden: Stattdessen nutzen sie die Gelegenheit, um den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Jungen fortan zu erpressen, zu foltern und zu missbrauchen. Während sich Musils Protagonist zunächst zurückhaltender als seine beiden Kameraden gibt, benutzen die zwei anderen Basini, um sich im Ausüben von Macht zu schulen und religiös-sadistische Praktiken an ihm zu testen. Doch auch Törleß entdeckt bald den Reiz, den die Unterwerfung einer ihm ausgelieferten Person in sich birgt. In einer ungekürzten Lesung des RBB entwickelt Musils Text als Hörbuch seine ganze Tiefe – selten lagen Vertrautheit und Kontrolle, Sadismus und Mitgefühl so nah beieinander.
»Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« als Hörbuch: Eine RBB-Lesung mit Gerd Wameling
Gerd Wameling ist freiberuflicher Theater- und Filmschauspieler, Regisseur und Professor an der Universität der Künste in Berlin. Bekannt wurde er durch seine zahlreichen »Tatort«-Auftritte und Engagements in Filmen wie Wim Wenders »In weiter Ferne, so nah!« oder Dieter Wedels »Gier«. Für seine Verkörperung des Staatsanwalts Dr. Fried aus der Fernsehserie »Wolffs Revier« bekam er den Adolf-Grimme-Preis verliehen. Aus der engen Zusammenarbeit mit dem DAV sind bereits zahlreiche Hörbücher entstanden, darunter die einzigartigen Lesungen der Krimi-Trilogie »Bretonische Verhältnisse«, »Bretonische Brandung«, und »Bretonisches Gold« von Jean-Luc Bannalec. Außerdem las er für Der Audio Verlag Jochanan Shelliems »Weinen Sie nicht, die gehen nur baden!« und das Kinderhörbuch »Ihr Katerlein kommet« von Edith Schreiber-Wicke ein. Mit seiner kunstvoll vorgetragenen Interpretation von Robert Musils Klassiker »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« beweist Gerd Wameling wieder, dass er ein Meister seines Fachs ist: Auf einfühlsame Art und Weise zeichnet er die Zerrissenheit von Törleß‘ junger Seele nach, welche in einem Spannungsfeld zwischen kühler institutioneller Strenge, jugendlichen Machtkämpfen und dem hitzigen Beben erwachender Sexualität heranwächst.